Donnerstag, 10. August 2017

Zoran Ferić: In der Einsamkeit nahe dem Meer

Quelle: Pixabay / PuraVida
Der Roman des kroatischen Autors Zoran Ferić "In der Einsamkeit nahe dem Meer" führt uns in die Welt der Möwen. Auch wenn dieses Buch kein Tierroman ist, so behandelt es doch tierische Instinkte. Denn in diesem Roman wird "rumgemacht" - aber nicht nur!

Die "Möwen" - so bezeichnet man einen Schwarm junger Männer auf einer kroatischen Urlaubsinsel, die ihre Sommer damit verbringen, Jagd auf Touristinnen zu machen. Am Ende jedes Sommers wird die Anzahl der Eroberungen miteinander verglichen: Wer durfte bei den meisten Frauen ran? Wie geschickt oder ungeschickt stellten sich die Frauen bei der Befriedigung der sexuellen Gelüste der Möwen an? Mit dem Ende des Sommers verschwinden auch die Touristinnen. Im Sommer wird der Körper befriedigt, im Winter der Geist. Denn egal wie primitiv die jungen Männer dem Leser im Sommer erscheinen, im Winter widmen sie sich ihrer Ausbildung und ihrem Beruf. Viele von ihnen studieren und überwintern daher auf dem Festland. Der nächste Sommer wird sie wieder auf ihre Insel schwärmen lassen, und die Jagd auf die Touristinnen geht wieder von vorne los.

Zugegeben, der Plot hat mich zunächst zweifeln lassen. Denn welche Leserin hat Spaß an einem Szenario, in dem Frauen als Freiwild behandelt und scheinbar auf das Fleischliche reduziert werden. (Ich kenne zumindest keine ;-))

Ich habe mich jedoch gefragt, was Zoran Ferić, derzeit Gymnasiallehrer für Kroatisch und nebenbei mehrfach dekorierter Autor mit Publikationen in mehreren europäischen Ländern, aus diesem Plot macht. Und tatsächlich hat mich Zoran Ferić überrascht.
Denn der Autor hat aus seinem Buch viel mehr gemacht als "einen wilden Roman über die Liebe". Man wird als Leser schnell feststellen, dass hinter der Gruppe der Möwen viel mehr steckt als das Liebesleben instinktgesteuerter junger Männer.
"Er ein großer schöner Mann mit schwarzem Haar, sie klein, dick, gedrungen, mit großen Brüsten. Sie sind völlig verschieden. Sie haben sich in das verliebt, was sie nicht sind. Sie in die Schönheit, er in die Durchschnittlichkeit. Oder sie in das, was er an ihrem Aussehen nicht mag, und er in die eigene Großmütigkeit." (S. 209)
Die einzelnen Kapitel in diesem Buch sind hauptsächlich der Eroberung einer Frau gewidmet. Der Beginn eines Kapitels konzentriert sich zunächst auf den Eroberer. Zoran Ferić gibt den Männern ein Profil, beschreibt ihre Herkunft, ihre Beweggründe, aber auch ihre Eroberungsstrategie. Aus der Sicht des Mannes wird die Frau beschrieben, um die es in dem Kapitel geht. Dadurch zeichnet sich langsam ein Profil der jeweiligen Frau ab. Im weiteren Verlauf des Kapitels erhält diese Frau immer mehr Raum. Und plötzlich hat man den Eindruck, dass diese Frau auf einmal im Mittelpunkt dieses Kapitels steht. Die Frauen, um die es hier geht können nicht unterschiedlicher sein: Junge, Alte, Mädchen, Dame, Touristin, Einheimische, Jungfrau, Witwe ... um nur einige zu nennen. Sie haben die unterschiedlichsten Beweggründe, sich auf das Spiel des Möwen-Mannes einzulassen: sie möchten sich beweisen, dass sie auch im Alter noch attraktiv und liebenswert sind; sie sind auf Abenteuer aus; sie suchen Romantik; sie suchen Trost; sie suchen Sex...
"Er war wie Belmondo, der einen ungeschickten Verführer spielt, wie Alain Delon, der kaum einmal komisch daherkommt, wie Humphrey Bogart in seinen zärtlichen Momenten, den Dolch wie ein Kanarienvogel mit gelbem Flaum umhüllt. Dort, wo sie einen Provinzler sahen, der einen Cowboy imitiert, sah sie einen mutigen jungen Mann, der sich nicht um die Umgebung kümmerte, dort, wo sie Servilität sahen, sah sie wieder Mut, dort wo sie einen Aufdringling sahen, sah sie Aufrichtigkeit, die sich an der Schönheit weidet, und dort wo sie den Versuch sahen, sie zu verführen, sah sie sein Talent, verführt zu werden." (S. 86)
Der Autor Zoran Ferić hat mich mit seiner sehr bildhaften und fantasievollen Sprache überzeugt. Allein schon der Titel "In der Einsamkeit nahe dem Meer" deutet auf Melancholie hin, die sich in hohem Maße in dem Roman wiederfindet. Diese Kombination aus Sommer, Urlaub und Melancholie, versetzt den Leser in eine Stimmung, die dem Gefühl beim Betrachten eines Sonnenuntergang am Meer nächsten kommt. Das ist einfach nur schön!

Fazit:
Ein melancholisches Sommerbuch, das sich durch einen sehr stimmungsvollen Sprachstil auszeichnet. Der Triebfaktor und das "Rumgemache" sind zwar manches Mal nervig und des Guten zuviel. Aber am Ende überzeugt die Darstellung der einzelnen Charaktere, insbesondere die der Frauen. Der Autor gibt ihnen ein Profil und lässt sie somit vom anonymen Beutetier zum Menschen mit Seele werden.

© Renie






Über den Autor
Geboren 1961 in Zagreb. Studium an der Philosophischen Fakultät von Zagreb. Derzeit Gymnasiallehrer für Kroatisch. Zahlreiche Publikationen in kroatischen Zeitschriften wie in „Polet “, „Studentski list“, „Pitanja “, „Oko “, „Quorum “, „Plima “, „Evropski glasnik “ und „Torpedo “. Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt, u. a. ins Englische, Italienische, Polnische, Spanische, Slowenische, Ukrainische, Montenegrinische. (Quelle: Folio Verlag)