Montag, 10. April 2017

Anthony McCarten: Licht

Quelle: Pixabay/Flybynight
Mit seinem aktuellen Roman, der uns ins Amerika zum Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts führt, ist dem neuseeländischen Autor Anthony McCarten ein bemerkenswertes "Licht" aufgegangen. Ich habe schon einiges von McCarten gelesen. Doch mit diesem Buch ist ihm ein besonderer Coup gelungen.

Dieser Roman konzentriert sich auf das Leben von Thomas Alva Edison."Licht" ist auch ein Buch der Konflikte und Widerstände:
  • Thomas Alva Edison (der mit der Glühbirne) vs. J. P. Morgan (der Banker)
  • Thomas Alva Edison vs. Nikola Tesla (der mit dem Wechselstrom)
  • Gleichstrom vs. Wechselstrom
  • Elektrischer Stuhl vs. Erschießen, Erhängen und ähnliche "humanere" Methoden zur Vollstreckung einer Todesstrafe
McCarten schafft das Kunststück, die wissenschaftlichen und technischen Informationen, die zwangsläufig zu einem Roman über einen begnadeten Erfinder und Naturwisschenschaftler gehören, auf sehr verständliche und unterhaltsame Weise zu vermitteln. Damit schafft er es, sogar Leser, die keine Affinität zur Naturwissenschaft haben, zu begeistern. 

Quelle: Diogenes
Im Mittelpunkt dieses Romanes steht die Beziehung zwischen J. P. Morgan und Thomas Alva Edison. Die beiden kommen zusammen, als Edison mit seinen Forschungen zur Elektrizität noch in den Anfängen steckt. Doch J. P. Morgan wäre nicht einer der erfolgreichsten Banker seiner Zeit, wenn er nicht den richtigen Riecher hätte, sobald ein lukratives Geschäft winkt. Er ahnt, dass Elektrizität die Welt verändern wird, und diese Veränderungen sollen sich auszahlen, vorzugsweise an ihn. Daher versucht er, Edison mit seinem Ehrgeiz und Geschäftssinn anzustecken. Edison, der seine Aufgabe als Wissenschaftler darin sieht, zum Wohle der Menschheit zu forschen, fühlt sich in der ihm zugedachten Rolle des geschäftstüchtigen Erfinders überfordert. Zunächst genießt er die Möglichkeiten, die ihm Morgans Investitionen bescheren. 
"'Damit, dass man die Welt verbessert, verdient man keine Geld. Nur mit ihrer Zerstörung.'" (S. 21)
Aber die Konkurrenz schläft nicht. Allen voran ist es Nikola Tesla, sein ehemaliger Assistent, der ihm den Rang des erfolgreichsten Wissenschaftlers streitig machen will. Edison sieht die Zukunft der Elektrizität im Gleichstrom. Tesla ist Verfechter des Wechselstroms. Edison fühlt sich bei der Ehre und seinem Stolz gepackt. Der Konkurrenzkampf der beiden Wissenschaftler eskaliert in dem Moment, als Edison den elektrischen Stuhl erfindet, den er mit Wechselstrom betreiben lässt. Somit bekommt Teslas Wechselstrom einen tödlichen Stempel aufgedrückt.

Während sich Edison und Tesla bekriegen, nimmt Morgan eine abwartende Rolle ein. Noch hält er zu Edison. Die Investitionen in dessen bisherige Arbeit sind einfach zu hoch. Doch Morgan ist ein Gewinner. Am Ende bekommt derjenige seine Zuwendung, der als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen wird.

Edison war seit seiner Kindheit schwerhörig, was die Kommunikation mit ihm nicht einfach machte. McCarten stellt diese Schwerhörigkeit in den Vordergrund, schlachtet sie sogar aus und schon wird aus seinem Hauptprotagonisten ein sehr kauziger Charakter, der sich von seinen Mitmenschen anschreien lässt - aber bitteschön nicht lauter als 80 Dezibel. 

Edison ist hin- und hergerissen zwischen dem Streben nach Erfolg und seiner Weltanschauung, dass Wissenschaft zum Wohle der Menschheit dient. Doch er weiß durchaus die finanziellen Vorteile, die die Zusammenarbeit mit Morgan bietet, zu schätzen. Zeitweise versucht er sogar, Morgan nachzueifern. Er kleidet sich wie er, hält sich in den selben gesellschaftlichen Kreisen auf wie er und hat Spaß an den Annehmlichkeiten die das Luxusleben eines Millionärs mit sich bringt. Einzig Mina, Edisons zweite Ehefrau, (die erste starb 1847), weiß ihn zu erden. Ihre Kritik ruft ihm immer wieder in Erinnerung, mit welchen Motiven er als Wissenschaftler angefangen hat. Mina hält sozusagen sein Gewissen in Schach.
"'Du bist Erfinder. Du hast mir einmal gesagt, Gutes zu tun sei deine Religion. Weißt du das noch? Dass es dir darum geht, die Welt zu verbessern? Und ein solcher Mann, der Mann, den ich geheiratet habe, der will nun ein Problem aus der Welt schaffen, indem er jemanden umbringt? So lösen wir jetzt Probleme, Thomas?'" (S. 267)
Morgan wiederum ist der Berechnende, der manipulativ auf seinen Schützling Edison einwirkt. Was er will, bekommt er am Ende. 
Auch der Bankier wird von McCarten nahezu als Witzfigur dargestellt: ein hässlicher alter Mann mit 2 Markenzeichen: einer riesigen Knollennase und einem Gehstock. 
Ein echtes Highlight war für mich das Zusammenspiel der beiden Männer. Da lässt McCarten so manches mal den Schalk durchblitzen. Man hat den Eindruck, dass zwei Charakterköpfe aufeinanderprallen, die einen Höllenspaß daran haben, sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Aber man wird nie den Eindruck los, dass Morgan immer der Überlegene in dieser Beziehung ist. 
"Er kam an Touristen vorüber, die anstanden, um Eintrittskarten für die Besichtigung des Zellenblocks zu kaufen. Er blieb selbst an dem Kassenhäuschen stehen und las dort, dass man entweder eine Einzelkarte kaufen konnte, um durch Gucklöcher die Gefangenen in den Zellen zu beobachten, oder eine Karte, die außerdem am selben Tag auch noch für die Niagarafälle gültig war. Das 'Ein Tag im Gefängnis und am Wasserfall'-Angebot war ein großer Erfolg." (S. 270 f.)
Der Roman findet hauptsächlich auf 2 Handlungsebenen statt.

1. Edison ist über 80 Jahre alt und schon sehr gebrechlich. Er soll zum Ehrenbürger seines Geburtsortes Milan ernannt werden. Der ganze Trubel um seine Person ist ihm zu viel. Während der Reise nach Milan erinnert er sich an

2. seine Vergangenheit, insbesondere an seine Zeit als Forscher und Erfinder; an die Zeit mit Morgan und den Konflikt mit Tesla

Anthony McCarten ist seinem Schreibstil treu geblieben. Wie ich es von seinen anderen Romanen gewohnt bin, zeichnet sich sein Sprachstil auch hier durch Leichtigkeit und viel Humor aus. Der Autor scheint großen Spaß an seiner Geschichte über Thomas Alva Edison und J. P. Morgan gehabt zu haben. Man wird den Eindruck nicht los, dass er diesen Roman mit einem Lächeln im Gesicht geschrieben hat. Und dieses Lächeln überträgt sich auf den Leser.

Fazit:
Eine faszinierende Geschichte, die auf tatsächlichen Ereignissen basiert. Anthony McCarten gelingt es, die historischen und naturwissenschaftlichen Informationen auf sehr unterhaltsame Weise zu vermitteln. Ob die beiden Hauptprotagonisten tatsächlich so kauzig waren, wie der Autor sie darstellt, ist schwer zu sagen. Aber man glaubt es gerne, denn schließlich machen sie aus diesem Roman etwas ganz Besonderes. Leseempfehlung!

© Renie






Über den Autor:
Anthony McCarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland, schrieb als 25-Jähriger mit Stephen Sinclair den Theaterhit ›Ladies Night‹, in der unautorisierten Filmadaption (›The Full Monty/Ganz oder gar nicht‹) eine der weltweit erfolgreichsten Filmkomödien. Es folgten weitere Romane, Theaterstücke sowie Drehbücher (u. a. zum internationalen Filmhit ›The Theory of Everything‹, Nominierung für die ›Beste Drehbuchadaption‹). Er lebt in London. (Quelle: Diogenes)