Samstag, 18. Februar 2017

Manuela Reichart: Beziehungsweise

Quelle: Pixabay/Alexas_Fotos
Liebe ist ein mächtiges Gefühl und es gibt sie in unterschiedlichen Facetten. Nicht umsonst hat Manuela Reichart ihren Erzählband "Beziehungsweise" mit dem Untertitel "Liebesvariationen" versehen. Und gleich vorweg: Ich liiiiiebe dieses Buch!

Das Thema "Liebe" war schon immer ein Dauerbrenner in der Literatur und wird es auch immer sein. Wie wohltuend ist es da, wenn eine Autorin sich mit der Liebe beschäftigt, ohne den Leser in einem Ozean der Gefühle versinken zu lassen. Das gelingt nicht jedem. Denn Liebe verbindet man gern mit überbordenden Gefühlen - sei es kummerhafter Herzschmerz oder die obligatorischen Schmetterlinge im Bauch. Die Grenze zum Kitsch ist nicht weit weg. Das mögen viele Leser - ich nicht! Daher freue ich mich, dass Manuela Reichart es tatsächlich geschafft hat, die Liebe in ihren Erzählungen von einem nüchternen und abgeklärten Standpunkt aus zu betrachten. Dabei wählt sie wohltuende leise Töne, die trotzdem so viel ausdrücken und mich zum Nachdenken gebracht haben.
"Er hatte mit ihr leben oder sterben wollen. Sie wollte das nicht. Weder das eine noch das andere. Sie wusste, dass die Leidenschaft nicht dauern würde, wenn sie beieinanderblieben. Sie hatte die Trennung der Gewöhnlichkeit vorgezogen." (S. 60)

Die Protagonisten in ihren Geschichten sind hauptsächlich Frauen oder Paare, mittlerweile in einem Alter, fernab vom Herzschmerz und den Schwärmereien ihrer Jugend. Es sind allesamt Menschen mit Lebenserfahrung, die die Liebe bereits mehrfach erlebt haben.

Gleich zu Anfang berichtet eine Frau von ihrer langjährigen Freundin. Die beiden kennen sich schon seit Ewigkeiten und haben trotz der räumlichen Trennung nie den Kontakt zueinander verloren. Und wie das bei Freundinnen so ist ... frau weiß alles über die Freundin und beschreibt dem Leser, ihren Liebensweg und wie sie zu dem Menschen geworden ist, der sie heute ist.

Oder man trifft in den Erzählungen auf Paare, die sich gemeinsam erinnern. Diese Szenarien haben etwas von einer Paartherapie. Als Leser kann man sich genau vorstellen, wie Mann und Frau auf der Therapiecouch nebeneinander sitzen und dem Therapeuten Rede und Antwort stehen. Bemerkenswert ist allerdings, dass die gemeinsamen Erinnerungen viele Abweichungen zeigen und es wird einmal mehr deutlich, dass Frauen und Männer unterschiedlich ticken. 
Quelle: Kirchner PR/Dörlemann

In einer anderen Geschichte wird einer Großmutter von ihrer Enkelin die Frage gestellt: "Was war der glücklichste Tag in deinem Leben?" Um sich diese Frage selber ehrlich beantworten zu können, stellt die Frau einige Überlegungen an, in denen sie ihr Leben Revue passieren lässt.

Allein diese Frage nach dem glücklichsten Tag eines Lebens, hat mich zum Nachdenken gebracht. Letztendlich stellt sich der Leser diese Frage selbst, hat vielleicht schnell eine Antwort parat, mit der man aber am Ende nicht zufrieden sein wird. Denn in der Erinnerung tauchen immer weitere Momente auf, die einen Tag zu einem glücklichsten machen können. So hat man die Qual der Wahl mit dem schönen Nebeneffekt, dass man sich die glücklichen Momente seines Lebens in Erinnerung ruft. Das ist Seelenbalsam pur.
"Es war richtig, so wie es war. Wir brauchten Zeit. Wir mussten uns aneinander gewöhnen. Leidenschaft kann jeder. Liebe beherrschen nur wenige. Dauerhafte Liebe. Wir waren einander doch fremd. Jeder Liebende ist dem anderen ein Fremder. Wir verlieben uns in einen Fremden. Wir lieben einen Vertrauten." (S. 94)
Ich habe mich hier auf einige wenige Geschichten aus dem Buch konzentriert. Tatsächlich haben mich alle Geschichten in diesem Buch begeistert. Denn alle Erzählungen haben eines gemeinsam: Sie bleiben haften und stimmen den Leser nachdenklich. Denn man findet sich in vielen Liebesvariationen wieder, insbesondere, wenn man schon etwas älter ist und auf ein paar Jährchen Lebens- und Liebeserfahrung zurückblicken kann.

Wohltuend ist auch der Sprachstil von Manuela Reichart. Sie ist sehr kreativ, bei der Wortwahl und Satzgestaltung.  Jedes Wort und jeder Satz wirken genau bedacht und bedeutsam. Dadurch sind die Geschichten sehr tiefgründig. Man beginnt zwischen den Zeilen zu lesen, denn ihr Wortwitz regt die Fantasie des Lesers an und verführt dazu, sich auf Gedankenspiele einzulassen. 

Dieses Buch ist besonders, weil es die Liebe in ihren Variationen auf nüchterne Art betrachtet und dabei den Leser trotzdem berührt. Daher würde ich mich freuen, wenn Manuela Reicharts Erzählungen ganz viele Leser finden, die sich genauso begeistern lassen wie ich. 

Und ein letztes Mal: Ich liiiiiebe dieses Buch!

© Renie




ISBN: 9783038200390




Über die Autorin:
Manuela Reichart lebt und arbeitet in Berlin als Radioautorin, Radiomoderatorin und Herausgeberin (u.a. der Anthologie Doch uns schlug kein Gewissen, 2011). 2015 erschien ihr Buch Schon wieder Verspätung. Reisebekanntschaften im Dörlemann Verlag. (Quelle: Dörlemann)