Mittwoch, 30. März 2016

Schünemann & Volić: Pfingstrosenrot

"Ein kleines Stück Land, kleiner als das deutsche Bundesland Schleswig-Holstein, war mit so viel Geschichte und Mythen beladen, und eine davon besagte, dass nur hier die Pfingstrose in solch prächtigen Rottönen blühen würde, weil der Boden mit so viel Blut getränkt ist." (S. 70)
Der Kosovo-Krieg fand von Februar 1998 bis Juni 1999. Ja, so lange ist das schon her. Doch der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen Kosovo-Albanern und Serben besteht nach wie vor. Zu groß sind Hass und Vorurteile, die sich in den Köpfen der Balkanbewohner eingenistet haben. Menschen sind vertrieben worden, Menschen haben das Bedürfnis, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Der Kriminalroman "Pfingstrosenrot" des Autorenduos Christian Schünemann und Jelena Volić ist in der Zeit nach dem Krieg angesiedelt und reicht bis in unsere Gegenwart. Dabei liefern sie ein eindrucksvolles Bild über die Gewinner und Verlierer des damaligen Krieges.

Quelle: Diogenes
Worum geht es in diesem Kriminalroman?
Was geschah in jener Nacht, als ein serbisches Ehepaar, Miloš und Ljubinka Valetic, in seinem Haus im Kosovo brutal ermordet wurde? Milena Lukin wäre dieser Frage vielleicht nie nachgegangen, wenn nicht ihr Onkel Miodrag in der Ermordeten seine Jugendliebe wiedererkannt hätte. Sie nimmt Kontakt zu den hinterbliebenen Kindern auf, wagt sich an den Ort des Verbrechens und in die Niederungen der Politik. Und allmählich erhärtet sich der Verdacht, dass die Täter nicht in der Ferne, sondern ganz in ihrer Nähe zu finden sind – im schönen Belgrad. In ›Pfingstrosenrot‹ wird erzählt, wie ein politischer Konflikt hinter den Kulissen geschürt und aufrechterhalten wird, weil beide Seiten kräftig davon profitieren. (Quelle: Diogenes)

Der Kriminalfall, der hier geschildert wird, basiert auf einem wahren Verbrechen, welches seinerzeit sowohl von serbischen als auch albanischen Regierungs- und Medienvertretern instrumentalisiert worden ist, um die eh schon explosive Stimmung zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter aufzuheizen.

Im Mittelpunkt steht Milena Lukin, eine Kriminologin, die mit ihrer Mutter und ihrem Sohn in Belgrad lebt und unterrichtet. Sie ist eine warmherzige Frau und ein Familienmensch. Deshalb zögert sie auch nicht, der Bitte ihres kranken Onkels nachzukommen, ein paar Nachforschungen in dem Doppelmord Valetic anzustellen. Bei der ermordeten Ljubinka Valetic handelt es sich um Onkel's Jugendliebe.
Da Milena als Kriminologin u. a. mit der Europäischen Kommission zusammen arbeitet, hat sie Zugang zu den unterschiedlichsten Kreisen in Belgrad. Dadurch stehen ihr viele Möglichkeiten offen, die sie bei der Aufklärung dieses Verbrechens unterstützen.
"Wenn sie sich vorstellte, wie da oben jetzt die Diplomaten und Politiker beisammensaßen und mit abstrakten Zielvorgaben über das Schicksal von Tausenden von Flüchtlingen entschieden. Diese Herren waren von allem Möglichen getrieben, nur nicht von der Sorge um die Menschen." (S. 74)
In Serbien ist die Kluft zwischen Armen und Reichen sehr groß. Insbesondere die Folgen des Krieges tragen dazu bei. Von den EU-Geldern, die dem Wiederaufbau dienen, profitieren nur einige wenige, in der Regel Beamte und Regierungsmitglieder. Wer sich vor dem Krieg nicht gescheut hat, die Hand aufzuhalten und sich korrumpieren ließ, hat auch jetzt keine Probleme damit. Die EU ist großzügig, nur leider kommt das Geld nicht bei denen an, die es dringend benötigen: den Bewohnern des Kosovo und den Rückkehrern, die während des Krieges nach Serbien geflohen sind und jetzt wieder in die Heimat zurück wollen.
Korruption und Vetternwirtschaft sind in Serbien und im Kosovo an der Tagesordnung. Und gerade diejenigen, denen es vor dem Krieg schon gut ging, profitieren am meisten von den Folgen des Krieges. 
"'... Ob Minister oder Bürgermeister - jeder fühlt sich zuerst seinem eigenen Clan verantwortlich, und dann kommt lange Zeit nichts. Und die Internationalen sind längst Vettern in dieser Vetternwirtschaft geworden. Irgendwann erliegt der eine oder andere Bürokrat dann doch der Versuchung, sich hier und da an einer kleinen Privatisierung und am Ausverkauf des Kosovo zu beteiligen. Oder man lässt sich fürs Weggucken bezahlen - auch ein schönes Zubrot zu einem Gehalt,...'" (S. 328)
Die Reichen genießen ihr Leben. Sie haben einen Höllenspaß daran, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Die Dekadenz kennt dabei keine Grenzen. Ist diese Dekadenz übertrieben dargestellt? Auf jeden Fall geben Schünemann und Volić die "High Society" Belgrad's der Lächerlichkeit preis. Denn egal, mit welchen Statussymbolen die Reichen aufwarten, alles wirkt übertrieben, protzig und geschmacklos.
"Der Politiker hatte sich in der laufenden Legislaturperiode interessanterweise vor allem dadurch hervorgetan, dass er öffentlich mit nacktem Oberkörper und einer riesigen Kreuzotter um den Hals posierte. Milena seufzte. Frauen legten sich bei der ersten Gelegenheit bereitwillig unters Messer, ließen sich liften, spritzen und straffen, dass ihnen die Anstrengung teilweise ins Gesicht geschrieben stand, während Männer kompensierten und sich keinen Deut darum scherten, dass ihnen die Wampe über dem Gürtel hing und Haare in Fülle nur noch auf dem Rücken wuchsen." (S. 272)
Belgrad ist eine Stadt der Kontraste. Hier treffen marode Bauwerke auf High-Tech-Neubauten (finanziert von der EU). Ein großer Teil der Bevölkerung lebt in ärmlichen Verhältnissen, ein anderer Teil weiß nicht wohin mit seinem Reichtum. Die wenigen albanisch-stämmigen Bewohner Belgrads werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Der Hass, der damals zu dem Krieg geführt hat, ist in den Köpfen der Menschen tief verwurzelt. Und es ist fraglich, ob sich die Balkanvölker jemals von diesem Hass befreien können. 
"Einem Albaner in Serbien wurde die Krankenhausbehandlung nicht verweigert, aber er hatte sich bitte schön zu gedulden, Schmerzen auszuhalten und hinzunehmen, dass jeder andere Patient Vorrang hatte. Jeder Notfallpatient, Privatpatient, Patient serbischer Staatsangehörigkeit oder serbischer Herkunft wurde ihm vorgezogen. Und dieser Fakt war, wie Schwester Dunja es wohl ausdrücken würde, 'keine Diskriminierung, sondern völlig normal.'" (S. 209)
Dieser Kriminalroman kommt gänzlich ohne Brutalität aus. Es geht zwar um einen Doppelmord - es bleibt übrigens nicht bei dem einen - doch als Leser erlebt man nie die Tat sondern wird immer nur mit dem Ergebnis - also der Leiche - konfrontiert. Und selbst hier hat sich das Autoren-Duo in der Beschreibung zurück gehalten und den Leser mit blutigen Details verschont. Trotzdem ist der Roman sehr spannend geschrieben. Durch einen stetigen Wechsel in der Erzählperspektive kommt der Leser in den Genuss, die Geschichte von mehreren Seiten zu durchleuchten. Die Hintergründe des Doppelmordes offenbaren sich erst mit der Zeit, obwohl sich relativ schnell abzeichnet, wer zu den Bösen und wer zu den Guten gehört.

Fazit:
Ich mag Krimis, deren Autoren es schaffen Spannung aufzubauen, und dabei auf Gewaltexzesse und Blutorgien verzichten können. In "Pfingstrosenrot" bin ich dabei voll auf meine Kosten gekommen. Hinzu kommt der politische Hintergrund, der in diesem Roman eine große Rolle spielt und fast schon informativen Charakter hat. Denn wie anfangs erwähnt, der Kosovo-Krieg liegt lange zurück. Und wie der Balkan sich mit dem Wiederaufbau rumgeschlagen hat und noch schlägt, haben doch viele aus den Augen verloren.

Leseempfehlung für diesen intelligenten, politischen, unblutigen und spannenden Krimi!

© Renie


Pfingstrosenrot von Schünemann und Volić, erschienen im Diogenes Verlag
ISBN978-3-257-06957-0



Über die Autoren:
Christian Schünemann, geboren 1968 in Bremen, studierte Slawistik in Berlin und Sankt Petersburg, arbeitete in Moskau und Bosnien-Herzegowina und absolvierte die Evangelische Journalistenschule in Berlin, wo er auch lebt. Er hat im Diogenes Verlag bereits vier Kriminalromane um den Münchner Starfrisör und Amateurdetektiv Tomas Prinz veröffentlicht.

Jelena Volic, geboren in Belgrad, studierte Allgemeine Literaturwissenschaft und Germanistik in Belgrad, Münster und Berlin. Mitarbeiterin in diversen Foren, die sich mit Serbien im europäischen Einigungsprozess befassen. Jelena Volic lehrt in Belgrad Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte und ist Expertin für deutsch-serbische Beziehungen. Sie lebt in Belgrad und Berlin.