Montag, 6. April 2015

Lesen mit Mira: J. R. Moehringer: Tender Bar

Nach ersten Anlaufschwierigkeiten bin ich dann ja noch gut ins Buch reingekommen. Nach den ersten 140 Seiten gefiel es mir dann so richtig gut. Lieben Dank, Mira, dass Du mir den Tritt verpasst hast, den ich brauchte, um das Buch nicht abzubrechen.

So verschieden sind unsere Kindheitserinnerungen gar nicht, wenn ich mich jetzt mal mit J. R. vergleiche. Der einzige Vorteil, den ich hatte, war, dass wir abgesichert waren. Meine Eltern brauchten sich wegen des Jobs oder der Wohnung keine Sorgen machen.
Aber gefühlsmäßig kann ich J. R. vollauf verstehen.
Das wahre Genie von J. R.s Vater lag im Verschwinden. Früh ließ er die Familie im Stich. Doch J. R. konnte ihn im Kofferradio hören. Als seine Mutter das mitbekam, sorgte sie dafür, dass sich Vater und Sohn mal trafen. Und J. R. schämte sich, dass er sich auf den Vater so freute. Doch aus dem Besuch des angekündigten Baseballspieles wurde nichts. Der Junge wartete vergeblich.
Und so macht sich J. R. auf, männliche Vorbilder zu suchen. Er versucht, sich mit dem Opa anzufreunden. Doch er hat Gewissensbisse; was würde die Mutter sagen. Und er fragt nach, warum sie nicht mit dem Opa redet:

Opa gebe keine Liebe weiter, sagte meine Mutter, als hätte er Angst, sie könnte eines Tages knapp werden.

Opa verbat ihr auch, ein College zu besuchen. Sie wollte so gerne studieren und Karriere machen.

Etwas später, kurz vor seinem achten Geburtstag, kam es dann doch noch zu einem Treffen zwischen Vater und Sohn, aber darüber hat J. R. seiner Mutter nicht die Wahrheit erzählt. Und dann war er ganz verschwunden. Er floh aus dem Bundesstaat, weil J. R.s Mutter Unterhaltszahlungen einklagen wollte. Und er drohte ihr, den Sohn zu entführen und ihr einen Killer auf den Hals zu hetzen, wenn sie damit nicht aufhörte.
Doch das und auch, was seine Mutter an ehelicher Gewalt erlebte, erfuhr J. R. erst in den folgenden Jahren.

Auf dem Klappentext steht unter dem 1. von drei Punkten der Grund, warum es für Frauen gut ist, das Buch zu lesen: "Weil Männer viel einfühlsamer und liebenswürdiger sind, als man denkt."

Diese einfühlsamen und liebenswürdigen Männer fehlen mir bisher. Der Opa ist der Familie gegenüber ein Ekel:

Gegenüber seinen Kindern verhielt Opa sich kalt und seine Enkel ließ er meist abblitzen, aber zu Oma war er hässlich. Er setzte sie herab, schikanierte sie, quälte sie zum Spaß, und seine Grausamkeit gipfelte in dem Namen, den er ihr gab. Ich hörte ihn nie Margaret zu ihr sagen. Er nannte sie dumme Frau, was sich ein wenig wie die Pervertierung bestimmter indianischer Namen in Hiawatha anhörte - zum Beispiel Großer Bär oder Lachendes Wasser ... Jeder Tag der Erniedrigung und Scham war Oma anzusehen. Selbst wenn sie schwieg, sprach ihr Gesicht Bände.


Dabei hielt er ihr Haushaltsgeld so kurz, dass sie sich nicht mal etwas für ein neues Kleid beiseitelegen konnte...